15. Bundestagung Psychiatrische Familienpflege Rust 2000
PSYCHIATRISCHE FAMILIENPFLEGE IN ITALIEN: GESCHICHTE UND DERZEITIGE SITUATION
Gianfranco Aluffi
Sehr verehrte Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich bei den Veranstaltern dieser 15. Bundestagung für die Einladung bedanken.
Ich freue mich sehr, hier in Deutschland zu sein, um die Psychiatrische Familienpflege in Italien vorzustellen, denn gerade hier, beim Verein Arkade in Ravensburg, hatte ich den ersten Kontakt mit dieser Realität, die heute für mich zum Gegenstand meiner Studien und meiner Arbeit geworden ist.
Gestern
„Auf Antrag des Prokurators des Königs kann die Pflege in einem privaten Haus vom Gericht gestattet werden und in diesem Fall übernehmen die Gastfamilie und der behandelnde Arzt alle von den Vorschriften auferlegten Verpflichtungen.
Der Direktor einer Irrenanstalt kann unter seiner Verantwortung die Pflege eines Irren in einem privaten Haus genehmigen, muss den Prokurator des Königs und die Behörden der öffentlichen Sicherheit jedoch unmittelbar davon benachrichtigen“.
So lauteten der II. und III. Absatz des Artikels 1 des nationalen Gesetzes Nr. 36 vom 14.02.1904 über Irrenanstalten und Irre, das im Jahre 1978 vom Gesetz Nr. 180 aufgehoben wurde, dessen Verdienst es war, in Italien einen langsamen, aber wichtigen Prozess zur Abschaffung der Institution Irrenanstalt einzuleiten.
Diesen Absätzen folgte der noch heute gültige königliche Erlass Nr. 615 von 1909, der mehr im Detail das regelte, was für die italienische Psychiatrie von damals ein kühnes Unterfangen darstellte und aufgrund der Erfahrungen in Belgien, Frankreich, Schottland und Deutschland Begeisterung auslöste, und zwar die psychiatrische Familienpflege von Erwachsenen, die an psychischen Störungen leiden. Die Diskussion über den Namen dieser Aktivität hat über die Jahre hinweg verschiedene Formeln ins Leben gerufen. Einige dieser sind: -Pflege in privatem Haus; -Fürsorge in Gastfamilie; -Patientenkolonie; -Betreuung in Familien; -Behandlung in Familien; -Beaufsichtigung zu Hause.
Der derzeitige, etwas lange Name für diese Therapie lautet: „Inserimento eterofamiliare supportato di adulti sofferenti di disturbi psichici“ (abgekürzt als IESA), was soviel bedeutet wie Betreute Eingliederung von Erwachsenen, die an psychischen Störungen leiden, in eine Gastfamilie.
Im folgenden die Regelung von 1909:
Königlicher Erlass vom 16. August 1909, Nr. 615.
Verordnung über Irrenanstalten und Irre
Art. 2. Unter der Bezeichnung privates Haus des Absatzes II und III des Artikels 1 des Gesetztes sind alle privaten Häuser zu verstehen, mit Ausnahme des Hauses des Irren oder seiner Familie, die laut Artikel 13, 14 und 15 der vorliegenden Regelung einen oder zwei Irre aufnehmen, ohne als Anstalt organisiert zu sein.
Art. 13. Die Pflege in einem privaten Haus darf nur für einen oder zwei Irre genehmigt werden.
Art. 14. Damit die Pflege in einem privaten Haus genehmigt werden kann, wobei es sich nicht um das Haus des Irren oder seiner Familie handeln darf, muss folgendes nachgewiesen werden:
- die gesundheitsfördernde Wirkung des Hauses und seine Fähigkeit, den Irren angemessen unterzubringen, sowie eine geeignete Anordnung der Räume;
- sein Standort, der sich außerhalb Ortschaften befinden und möglichst ein ausreichendes Grundstück umfassen muss;
- die Möglichkeit, dass der Irre einer Beschäftigung nachgeht, die vorzugsweise landwirtschaftlicher Art sein sollte;
- die Zusammensetzung der Familie und die Arbeiten, denen diese nachgeht, so dass sichergestellt wird, dass dem Irren die nötige Pflege und Betreuung zuteil wird und dass jede Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für den Irren oder für andere, sowie die Möglichkeit eines öffentlichen Skandals ausgeschlossen ist;
- das tadellose Benehmen und die Sittlichkeit der Familienmitglieder;
- die sichere ärztliche Betreuung, mit Angabe des Sanitätspersonals, das die Pflege des Irren übernimmt.
Art. 15. Jeder, der die Genehmigung zur Pflege von fremden Irren in seinem Haus erhalten möchte, muss einen Antrag beim Präfekten einreichen.
Nachdem der Präfekt die erforderlichen Auskünfte eingeholt und die entsprechenden Überprüfungen angestellt hat und zu der Ansicht gekommen ist, dass dem Antrag stattzugeben ist, lässt er ihn in eine entsprechende Liste eintragen, über die er den Prokurator des Königs des Bezirks, in dem sich die Irrenanstalt befindet, und den Direktor dieser informiert.
Der Direktor einer Irrenanstalt, der unter seiner Verantwortung die Pflege eines Irren in einem privaten Haus genehmigt, wählt das Haus unter den vom Präfekten zugelassenen aus.
Art. 16. Der Direktor der Irrenanstalt kann spezielle theoretisch-praktische Kurse für diejenigen einrichten, die beabsichtigen, Irre in ihrem privaten Haus aufzunehmen. Diese Kurse müssen mindestens 6 Monate dauern und können mit den Kursen zusammengelegt wird, die im Artikel 24 vorliegender Regelung erwähnt sind.
Der Direktor ist laut den Normen des Artikels 24, Absatz III dieser Regelung berechtigt, den Teilnehmern dieser Kurse Eignungszeugnisse auszustellen. Familien, die über besagtes Zeugnis verfügen oder ehemaligen Krankenpflegern oder ehemaligen Aufsehern, die im Absatz des Artikels 22 vorgesehen sind, ist normalerweise bei der Zuteilung der Irren zur Pflege im privaten Haus Vorrang zu geben, soweit die anderen Voraussetzungen des vorausgehenden Artikels 14 vorhanden sind.
Das Bedürfnis, eine derartige Art von Service einzurichten, entsprang der Grenzsituation, in der sich die italienischen Irrenanstalten in jenen Jahren befanden, die von einem Moment zum anderen aufgrund der Überfüllung mit Patienten zu explodieren drohten. Außerdem stellten die Betriebskosten der Anstalten für die Provinzen eine in vielen Fällen untragbare Belastung dar. Aus einer Ministerialuntersuchung vom Jahre 1898 der 43 italienischen Irrenanstalten geht hervor, dass diese um ca. 5000 Patienten überbelegt waren, von denen sich mindestens 3000 nicht in der Irrenanstalt hätten befinden sollen. Weiterhin hatten sich die Kosten für die Provinzen in den letzten 27 Jahren (1871-1898) fast vervierfacht.
Bereits im Jahre 1854 drückte Serafino Biffi nach einem Besuch in Geel seine Wertschätzung für die Psychiatrische Familienpflege aus, die in den folgenden Jahren zu einem heißumstrittenen Thema wurde. Unter ihren Verfechtern sind die Professoren Tamburini, Ferrari und Cappelletti zu nennen. Im Jahre 1906, im Rahmen des Internationalen Kongresses der Pflege von Irren in Mailand, wurde den Diskussionen über die Fürsorge in Gastfamilien viel Raum gelassen.
Aus einer Statistik des Ministeriums gehen folgende Daten bezüglich der Verbreitung der Fürsorge in Gastfamilien in Italien im Jahre 1902 hervor:
STADT |
Familienpflegefälle |
Florenz |
150 |
Reggio Emilia und Modena |
20 |
Lucca |
31 |
Perugia |
12 |
Ancona |
21 |
Siena |
33 |
Insgesamt |
268 |
Damals war in Italien auch die Pflege in der eigenen Familie sehr verbreitet, das heißt die leiblichen Verwandten des Patienten wurden dafür bezahlt, sich zu Hause um ihn zu kümmern. Diese Methode wurde von der wissenschaftlichen Welt jedoch verworfen und nach und nach abgeschafft, weil die Bezahlung, die teilweise die einzige Verdienstquelle für die Familie war, einen Grund für die Nicht-Genesung der Patienten darstellte.
Giulio Cesare Ferrari, Direktor der Irrenanstalt von Imola und Wegbereiter der italienischen Psychologie, war ein großer Verfechter der Patentienkolonien und der Fürsorge in Gastfamilien. Er begründete seine Begeisterung damit, dass er behauptete, dass der „Irre zur Familie zurückkehren muss, um die Würde des Menschen wiedergewinnen zu können“, da „jede Einschränkung der Freiheit, so gering sie auch ist, eine Einschränkung des bewußten Ich ist, das immer darunter leidet“. Die Einstellung dieses Psychiaters zur Institution Irrenanstalt kann, wenn sie zur Realität seiner Zeit in Beziehung gesetzt wird (Ende 1800), durchaus als revolutionär definiert werden. Unter anderem schrieb er, dass „die Existenz der Irrenanstalten die Idee der Gefährlichkeit der Irren fatalerweise bestimmte“, wodurch „es bald dazu kam, die Vorstellung eines Irren nicht mehr von der einer Irrenanstalt zu trennen“. Dies bewirkte die Überbelegung letzterer, da „es ihre Existenz ist, die die Kranken anzieht, die andernfalls irgendwer auf irgendeine Art und Weise im freien Leben dulden würde“.
Heute
Die Psychiatrische Familienpflege für von psychiatrischen Diensten betreute Personen wird in diesen letzten Jahren in einzelnen und seltenen Fällen angewandt, die über das ganze Land verstreut sind, nicht quantifiziert sind, oft improvisiert werden und nicht an ein spezifisches Modell angeglichen sind.
Aus einer von unserem Familienpflegedienst angestellten Untersuchung des Jahres 1999 geht hervor, dass die Psychiatrische Familienpflege in Italien bei folgenden örtlichen Gesundheitsämtern Anwendung findet:
Örtliches Gesundheitsamt |
Jahre der Tätigkeit |
Laufende Familienpflegeverhältnisse |
5 – Collegno (Piemont) |
2 |
5 |
8 – Chieri (Piemont) |
2 |
2 |
Bruneck Ost (Südtirol) |
15 |
2 |
2 – Lucca (Toskana) |
3 |
15 |
5 – Jesi (Marken) |
3 |
1 |
4 – Lanusei (Sardinien) |
10 |
3 |
6 – Cagliari (Sardinien) |
3 |
1 |
8 – Cagliari (Sardinien) |
2 |
7 |
3 – Nuoro (Sardinien) |
5 |
10 |
9 – Trapani (Sizilien) |
4 |
16 |
Insgesamt |
62 |
Die Psychiatrische Familienpflege kann in drei Kategorien unterteilt werden, die sich durch die durchschnittliche Dauer unterscheiden:
- Kurzfristig (von einigen Tagen bis 1 oder 2 Monate): Zu dieser Kategorie gehören die Fälle der Psychiatrischen Familienpflege, die im Moment der Krise des Patienten oder des Systems, das ihn aufnimmt, eingeleitet werden. Diese Form ist noch wenig verbreitet, befindet sich aber in Expansionsphase. Derzeit ist ein solcher Service in den USA und in England unter dem Namen Crisis Home (Dane County 1990, Denver 1970) und im Piemont, in einer „ländlicheren“ Form, unter dem Namen Crisis Farm aktiv, der leider noch kaum bekannt und verbreitet ist. Die Besonderheit besteht darin, die Krise des Patienten ohne Einlieferung in ein Krankenhaus zu überwinden, unabhängig davon, ob diese auf Beziehungsebene (z.B. mit der Familie) oder auf individueller Ebene (Verschlimmerung der Symptome) auftritt. Im Unterschied zur Erfahrung in den USA erfolgt die Unterbringung ausschließlich bei Familien, die im Bereich der Rehabilitation tätig sind (Pädagogen, in der Psychiatrie Beschäftigte, Pet-Therapeuten, Pferde-Therapeuten, usw.), auf dem Land wohnen und über Stall- und Kleinvieh, sowie bebautes Land verfügen. Laut den Befürwortern dieser Initiative begünstigen die ländliche Umgebung in Kombination mit der erzieherischen Erfahrung der Familien und der mehr oder weniger anhaltenden Betreuung durch psychiatrische Mitarbeiter die Wiedereingliederung des Individuums und die schnelle Überwindung der Krise. Die durchschnittliche Dauer des Aufenthalts in diesen „Bauernhöfen“ liegt bei zwei Wochen und endet damit, dass der Gast in die Umgebung zurückkehrt, in der er vor der Krise wohnte. Die Mitarbeiter der Crisis-Farm-Gruppe arbeiten eng mit den öffentlichen psychiatrischen Diensten zusammen, die den Patienten vermitteln.
- Mittelfristig (von einigen Monaten bis zwei Jahre). Hierbei handelt es sich um Fälle der Psychiatrischen Familienpflege, die sich an junge Leute wenden, bei denen eine, auch nur teilweise, Wiedererlangung der vorübergehend geschädigten Funktionen vorgesehen ist, damit sie ein Leben führen können, das durch eine höhere Selbständigkeit und Verantwortung gekennzeichnet ist. In diesen Fällen ist die Verfügbarkeit eines gegliederten und effizienten territorialen Servicenetzes ausschlaggebend, das in der Lage ist, sowohl auf therapeutischer Ebene, als auch auf Ebene der Rehabilitation im Einklang mit dem Organisationsdienst zu arbeiten.
- Langfristig (länger als zwei Jahre). Diese Fälle der Psychiatrischen Familienpflege wenden sich an ältere Leute, die lange Krankenhausaufenthalte hinter sich haben, an pflegebedürftige Menschen und an die sogenannten „chronischen Patienten“. Sie verfolgen das Ziel, diesen Personen die Möglichkeit zu bieten, in einer ruhigen und geschützten Umgebung zu leben, wo sie möglichst unbeschwert den letzten Teil eines unglücklichen Lebens verbringen können. In gewissen Fällen kann ein regelrechtes „Aufblühen“ des Gastes aufgrund des Erlernens oder der Wiedererlangung bestimmter Fähigkeiten beobachtet werden.
Der Psychiatrische Familienpflegedienst des Psychiatrischen Bezirks 5b – Örtliches Gesundheitsamt 5 – Region Piemont
Seit Dezember 1997 arbeite ich in Collegno, einer kleinen Stadt bei Turin, am Aufbau eines Psychiatrischen Familienpflegedienstes (IESA) für Erwachsene, die an psychischen Störungen leiden. Diese Stadt ist dafür bekannt, eine der größten italienischen Irrenanstalten beherbergt zu haben: „La Certosa“. Die Bewohner dieser Kleinstadt sind daran gewöhnt, mit etwas sonderbaren Personen wie den Patienten der ehemaligen psychiatrischen Klinik zusammenzuleben. Diese inzwischen alten „Bürger der Certosa“ laufen noch heute in den Straßen der Stadt herum und flößen Sympathie ein.
In einem Jahr Arbeit habe ich zusammen mit dem Psychiatrischen Bezirk 5b des Örtlichen Gesundheitsamtes Nr. 5 – Region Piemont, geleitet von Herrn Prof. P.M. FURLAN, zusammen mit der Universität von Turin ein Modell entwickelt, das vom Örtlichen Gesundheitsamt Nr. 5 sowohl unter normativem, als auch unter organisatorischem und operativem Aspekt übernommen wurde. Der Familienpflegedienst, an den ich mich bei der Abfassung des Projekts angelehnt habe, ist der des Vereins Arkade von Ravensburg, bei dem ich äußerst nützliche berufliche Erfahrungen gemacht und tiefgehende Studien angestellt habe.
Im Unterschied zu diesem Dienst und entgegen meinem Vorschlag sind die Organisation und die Betreuung der Psychiatrischen Familienpflegeverhältnisse Aufgabe eines Teams, das aus internem Personal des Örtlichen Gesundheitsamtes 5 besteht.
Das Team, das die ersten Familienpflegeverhältnisse betreut und sich um die Werbung für IESA kümmert, besteht aus einer 3 Stunden in der Woche beschäftigten Bezugsperson (Psychiater), einem Koordinator (Psychologe) und einem Mitarbeiter (Krankenschwester mit psychiatrischer Zusatzausbildung). Vervollständigt wird der Familienpflegedienst vom Supervisor des Teams und der familiären Beziehungsdynamik (Psychotherapeut), der 1,5 Stunden in der Woche beschäftigt ist. Das Team trifft sich wöchentlich zu einer organisatorischen Versammlung, bei der auch die Bezugsperson anwesend ist. Die Besuche bei den Familien, die durchschnittlich 2 Mal im Monat stattfinden, werden vom Mitarbeiter abgewickelt, der sich vorwiegend um die Beziehungsaspekte des Zusammenlebens kümmert, jedoch auch bei gewöhnlichen praktischen Aufgaben mithilft. Er ist für die Familien auch bei eventuellen Notfällen der Ansprechpartner. Jeder Mitarbeiter mit Vollzeitbeschäftigung kann bis zu 10 Familienpflegeverhältnisse betreuen. Was die fachärztliche und soziale Betreuung betrifft, so wendet sich der Bewohner weiterhin an seinen Psychiater und Sozialarbeiter des Bezirks. Das monatliche Treffen mit dem behandelnden Arzt dient neben der Bewertung der Psychofarmakatherapie und eventueller Anpassungen dieser dazu, dem Gast zu ermöglichen, eventuelle problematische Erlebnisse mit der Familie in einem behaglichen und vertraulichen Setting zu äußern.
Für die Familien ist ein Betrag von 1.800.000 Lire monatlich vorgesehen. Diese Summe wird ganz oder teilweise vom Örtlichen Gesundheitsamt in Form von Therapiegeld an den Bewohner ausgezahlt, der diesen Betrag wiederum als Kostenerstattung an die Familie weitergibt. Diese Vorgehensweise der Kostenerstattung, die etwas umständlich erscheinen kann, gestattet dem Bewohner, ein hohes Niveau an Durchsetzungsvermögen innerhalb des Zusammenlebens aufrechtzuerhalten.
Der Bewohner erhält außerdem monatlich 250.000 Lire Taschengeld. Falls die wirtschaftliche Lage des Bewohners besonders günstig ist, wird dieser teilweiser oder alleiniger Finanzierungsträger seiner Betreuung in der Gastfamilie.
Die Auswahl der Familien und die folgende Zuordnung der Patienten erfolgen wie nachstehend beschrieben:
- Sensibilisierung der Bevölkerung für das Problem psychischer Krankheiten;
- Werbung für den Familienpflegedienst durch Treffen und Anzeigen in den Massenmedien;
- Sammeln der Bewerbungen;
- Auswahl durch Gespräche und Hausbesuche.
Die ausgewählten Familien (oder Singles) besuchen dann einen Schulungskurs, der aus sieben Seminaren mit theoretisch-erfahrungsbezogenem Zuschnitt besteht. Auch die Patienten, die von den behandelnden Psychiatern empfohlen werden, werden derart ausgewählt, dass sie eine geeignete Kombination mit den Familien bilden.
Nachdem die Familie und der Bewohner, deren Wünsche hinsichtlich des Zusammenlebens übereinstimmen zu scheinen, auf dem Papier zugeordnet wurden, werden zwei Treffen zu Hause bei der Familie organisiert, bei denen auch ein Mitarbeiter des Teams anwesend ist. Läuft alles positiv ab, so wird der Vertrag zwischen den drei betroffenen Parteien abgeschlossen: dem Bewohner, der Gastfamilie und dem Familienpflegedienst. Dieser Vertrag regelt im Detail die ersten drei Wochen des Zusammenlebens (Zeitraum des Probewohnens) und den eventuellen Übergang zum eigentlichen Familienpflegeverhältnis. Zu den verschiedenen Klauseln des Vertrags gehört der Versicherungsschutz des Bewohners und der Gastfamilie durch eine Haftpflichtversicherung. Der Familie wird auch die Möglichkeit zuerkannt, auch wenn stark davon abgeraten wird, den Urlaub ohne ihren Gast zu verbringen. Möchte eine Familie das Pflegeverhältnis auflösen, ist dies durch eine Benachrichtigung mindestens 2 Wochen im voraus möglich. Der Bewohner und der Familienpflegedienst können zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach ihrem Ermessen eine andere und geeignetere Unterbringung vereinbaren.
In den ersten 18 Monaten Tätigkeit des Familienpflegedienstes wurde mit ca. 560 Familien Kontakt aufgenommen, von denen 72 der Auswahl unterzogen wurden und 18 als Gastfamilie zugelassen wurden. Die laufenden Familienpflegeverhältnisse sind heute 5 + 1 in Crisis Farm, weitere 4 befinden sich in Bewertungsphase und bis zum Ende des zweiten Jahrs der Aktivität möchte man 10 – 12 Pflegeverhältnisse erreichen.
Die täglichen Gesamtkosten für ein Familienpflegeverhältnis belaufen sich bei unserem Familienpflegedienst auf ca. 150.000 Lire.
Am 27. Mai dieses Jahres hat unser Familienpflegedienst in Turin die 1. Nationale Tagung über die Psychiatrische Familienpflege organisiert, mit dem Ziel, diese auf nationale Ebene auszudehnen. Die Teilnehmer, ca. 200 im psychiatrischen Bereich Beschäftigte, haben großes Interesse gezeigt und etwa 50 dieser haben sich vereinigt, um die Italienische Gesellschaft der Psychiatrischen Familienpflege zu gründen, um diese Kultur in ganz Italien zu verbreiten.